Sonntag, 13. Juli 2014

Buchbesprechung für Juli 2014

Meine Buchbesprechung für diesen Monat

Rachel Joyce: Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry  (S.Fischer Vlg)

Kurz zur Geschichte:
Harold Fry lebt mit seiner Frau Maureen ein bescheidenen, langweiliges, ödes, Leben. Der Sohn David scheint längst aus dem Haus zu sein, der Kontakt sporadisch. Der Alltagstrott ist lähmend. Zwischen die ordentlichen Gardinen, die blitzenden Fenster und den porentiefreinen Teppich flattert eines Tages der Brief einer ehemaligen Kollegin Harolds, Queenie Hennessy, ins Haus. Sie schreibt Harold, um sich zu verabschieden. Sie sei an Krebs erkrankt. Harold trifft diese Nachricht tief, obwohl er Queene beinahe vergessen hatte. Er versucht eine Antwort zu formulieren, was ihm sehr schwer fällt:
„Liebe Queenie, danke für Ihren Brief. Es tut mir leid. Alles Gute – Harold (Fry).“ (Seite 13).
Er nimmt den Brief und will ihn zum Briefkasten bringen. Dort angekommen denkt er an die paar Worte, die er Queenie geschrieben hat und schämt sich für ihre Dürftigkeit.Er stellt sich vor, wie er nach Hause zurückkehrt, wie das Leben genauso weitergeht wie bisher.Er schafft es nicht den Brief einzuwerfen.
"Eigentlich ist es ein schöner Tag" (Seite 19).
 
Er hatte ja sonst nichts zu tun da konnte er genauso bis zum nächsten Briefkasten laufen. Dann zum nächsten,dann wieder zum nächsten und zum nächsten...Auf seinem Weg denkt er nach. Über sich, Maureen und David, seine Eltern. Neben allen Gedanken, die ihm nur so durch den Kopf zu schießen scheinen kristallisiert sich eine Frage heraus, die ihn plötzlich ergreift:
„Wer bin dann eigentlich ich?“ (S. 19).
Er kommt auf eine völlig absurde Idee: er will zu Queenie laufen. Von Südengland bis an die schottische Grenze nach Berwick upon Tweed. Hinter dieser Idee steht noch ein viele verrücktere Idee, nämlich die, dass Queenie so lange leben würde, wie er sich auf dem Weg zu ihr befände. Er informiert das Hospiz, in dem Queenie lebt:
„Sagen Sie ihr, Harold Fry ist auf dem Weg. Sie braucht nur durchzuhalten. Denn ich werde sie retten, wissen Sie. Ich werde laufen und sie muss weiterleben.“ (S. 28).
Zugegeben eine völlig absurde Vorstellung - aber diese Vorstellung treibt Harold an zu laufen. Seine Reise ist nicht nur das Zurücklegen von Kilometern - eine Reise, insbesondere eine Pilgerreise, ist immer auch eine Reise zu sich selbst. So ergeht es in den einsamen Stunden auf seinem Weg auch Harold. Die Gedanken kreisen - um fast alles, was in seinem Leben eine Rolle gespielt hat. Auf diese Weise lernt der Leser Harold kennen - durch dessen Erinnerungen und Gedanken. Im Laufe des Buches wird Harold ein alter Bekannter; man erfährt vieles über seinen Beruf, die restliche Familie, die Beziehung zu seinem Sohn, die Beziehung zu seinem eigenen Vater, der verstört aus dem Krieg zurück kam. Immer wieder setzt er sich auch mit seiner Ehe zu Maureen auseinander. Anfangs nicht nur positiv, kommt er doch schließlich zu der wichtigen Erkenntnis:
„Er konnte sich selbst nicht mit einer anderen Frau als Maureen vorstellen. Sie hatten so viel miteinander geteilt. Ohne sie zu leben wäre, als würden ihm alle lebenswichtigen Organe genommen und von ihm bleibe nichts als eine leere, zerbrechliche Hülle.“ (S. 154).
Parallel zu Harold durchlebt Maureen die gleichen Gedankengänge, grübelt und erinnert sich. Ihre Empfindungen schwanken ebenso wie Harolds. Anfangs wütend über sein Verschwinden, wird sie im Laufe der Zeit weicher und erinnert sich an den Mann, den sie einmal geliebt hatte.
„Maureen fragte sich, wo Harold wohl schlief, und wünschte, sie könne ihm gute Nacht sagen. Sie reckte den Hals zum Himmel und suchte in der Dämmerung nach dem ersten Sternfunkeln.“ (S. 185).
Neben der Erkenntnis über sich und sein Leben ist Harolds Reise auch von totaler Erschöpfung geprägt - sie bringt Harold an die Grenzen seiner körperlichen und emotionalen Leistungsfähigkeit.

Die Geschichte ist keine philosophische Abhandlung über den Sinn des Lebens . Hochtrabende Formulierungen oder sinnschwangere Gedanken der Protagonisten fehlen. Was der Leser bekommt ist ein Blick auf ein ganz normales Leben, das manchmal ein Ereignis oder Anreiz braucht um sich aus seiner Tristesse zu befreien.
Es ist eine Geschichte über Tapferkeit und Geheimnisse, Liebe und Loyalität.(Klappentext)
Das Ganze ist gewürzt mit ein klein bisschen Romantik, mit Dramatik, Trauer, aber auch Freude über die Menschen, denen man einfach so am Straßenrand begegnet.
Deshalb hat es mir vielleicht so gut gefallen - ein ganz normales Leben, eben wie du und ich und viele Tausende es vielleicht führen könnten.

Ich werde es sicher weiter reichen und verschenken.