Samstag, 18. Februar 2017

Buchbesprechung:Anne Michaels - Wintergewölbe ( Berlin Verlag)

Buchbesprechung: Anne Michaels, Wintergewölbe
(Berlin Verlag)


Ich kannte die Autorin garnicht, hatte das Buch auf  einem Tisch mit Mängelexemplaren entdeckt.

Klappentext:
Jean durchstreift das verweiste Bett des begradigten St.Lorenz- Stroms und sammelte Pflanzen, letzte Zeugnisse einer Landschaft, die es so nicht mehr geben wird.
Avery ist Ingenieur und war maßgeblich an der Flussbegradigung beteiligt. Als beide sich begegnen, ist es Liebe auf den ersten Blick.
Dann erhält Avery den Auftrag, den gigantischen Abu-Simbel-Tempel zu versetzen. Jean begleitet ihn nach Ägypten. Sie wollen sich der ungeheurenAufgabe gemeinsam stellen, doch sie finden keine Sprache für ihr Unbehagen. Sie flüchten sich in die Beschwörung ihrer Nähe, ihrer Liebe. Nacht für Nacht erzählen sie einander die Geschichte ihrer Herkunft, ihrer Familien und kommen sich dabei abhanden, noch bevor sie selbst ein schwerer Verlust trifft, der alles verändert.

Meine Meinung: So wie Anne Michaels diese Liebesgeschichte erzählt habe ich selten eine gelesen. Sehr poetisch, mit schönen Wortbildern und schöner Sprache und leisen Zwischentönen.
Sie ist eine sensible Beobachterin der zwischenmenschlichen Beziehungen und auch Verstörungen.
Avery wird an den Nasser- Staudamm geschickt. Er soll die Götterstatuen des Abu-Simbel-Tempels vor dem Versinken retten, bevor er geflutet wird. Vorsichtig auseinander geschnitten sollen sie an höherer Stelle wieder zusammengesetzt werden. Eine nicht nur fachlich, sondern auch moralisch extrem heikle Aufgabe für den Ingenieur, denn mit dem Staudamm wird auch der Lebensraum einer ganzen Kultur, nämlich des nubischen Volkes zwangsweise zerstört. Beide spüren deutlich diesen Verlust. Das macht sie noch sensibler für ihre eigene Geschichte.Sie öffnen sich einander, erzählen sich gegenseitig ihr Leben, reden von Verlusten, Hoffnungen, Wünschen, Sehnsüchten. Der Autorin geht es dabei auch um die Grundsatzfrage, ob für den technischen Fortschritt die natürliche Umwelt geopfert werden darf.
Jean wir in dieser Zeit schwanger, doch sie verliert das Kind und fällt damit in eine tiefe Krise. Ihre Liebe wird auf eine harte Probe gestellt, denn es gelingt ihnen nicht über den schmerzlichen Verlust zu reden.
Zurück in Kanada trennen sie sich vorübergehend.

Im zweiten Teil des Buches lernt Jean einen anderen Mann kennen.
Einen Mann aus Polen, der den zweiten Weltkrieg zwar überlebt hat im Warschauer Ghetto, aber seine Mutter verloren hat und von seinem Stiefvater kurz nachdem sie sich endlich wieder gefunden haben verlassen wird. Auch hier wieder das langsame Annähern der beiden gebrochenen, einsamen Seelen sehr feinfühlig erzählt. Aber auch das Graurn dass der Junge in Warschau erlebt hat, das Hausen in Kellerlöchern, den Wiederaufbau, die brutalität der russischen Soldaten. Die Migration mit Freunden nach Kanada.Jean leidet unter der Trennung von Avery kann aber auch nicht auf ihn zugehen und umgekehrt. Lucjan ist ein zutiefst einsamer Mensch, trotz vieler Freunde.
Die einzige Verbindung zu Avery sind Telefonate in denen er aber nur von seinem Studium erzählt und die freundschaftliche,warme Beziehung zu seiner Mutter auf dem Land. Zu der Jean regelmäßig fährt um dort den Garten den sie aus den Samen der Pflanzen ihrer verstorbenen Mutter angelegt hat, zu hegen und zu pflegen. Sie braucht das Gefühl in der Erde zu arbeiten.

Im dritten Teil geschieht dann am 1.Todestag des todgeborenen Kindes  wieder eine Annäherung zwischen Avery und Jean.

Wintergewölbe ist der Roman einer großen Liebe, eigentlich über Liebe an sich.
Anne Michaels hat dafür eine bildmächtige, methaphernreiche Sprache gefunden, die einen staunen macht, weil sie mit jedem Wort, jedem Satz ganze Gefühlswelten erschließt.
Manche Sätze möchte man 2-3 mal lesen, einfach um sich die Worte und die Bilder einzuprägen.

Ein wunderbarer Roman.